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Winterwanderung über Kühgrundrücken und Islergrat

Aktualisiert: 28. Feb. 2023


Die Winterwanderung über den Islergrat im Allgäu ist eine reinrassige Gratüberschreitung, mit all den üblichen Risiken einer solchen. Hinzu kommt die Tatsache, dass bei einer Winterwanderung der Kraft-, Zeit- und Risikofaktoren sowie die Anforderungen an die Wegfindung immer erheblich höher sind als bei der gleichen Strecke im Sommer. Grödeln und Lawinenset sind unter absoluten Optimalbedingungen die Minimalausrüstung für sehr geübte Alpinisten. Bei schlechteren Verhältnissen oder allen ohne entsprechende Erfahrung ist die Mitnahme von Eispickel und Steigeisen zu empfehlen. Ebenso sollte der Umgang mit dem Lawienenset, sowie das Lesen von Schnee- und Lawinenberichten jedem, der im Winter im Gebirge unterwegs, ist geläufig sein. Wer alle die gelisteten Anforderungen erfüllt und über die entsprechende Ausrüstung verfügt, den erwartet aber eine absolute Traumtour.

Auf dem Weg zur Kühgrundspitze bei einer Winterwanderung am Islergrat
Auf dem Weg zur Kühgrundspitze

Vier Gründe für die Tour


  • Traumhafte Ausblicke über die winterlichen Allgäuer Alpen

  • Ein sehr diverser Mix aus unterschiedlichen Wegtypen und Landschaften, der bis zum Ende spannend bleibt

  • Aufgrund des hoch gelegenen Startpunktes in Oberjoch eine alpine Gratüberschreitung mit vergleichsweiße wenigen Höhenmetern

  • Eine Tour mit hohem Anspruch an die alpinen Fähigkeiten, bei der sich auch erfahrene Bergsteiger über eine Herausforderung freuen können

ALG Kühgrundrücken & Islergrat
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Die Tour


Unsere Wanderung beginnen wir auf dem Parkplatz an der Tourismusinformation Oberjoch. Die Parkgebühren hier betragen 5€ und sind neben Münzen auch per Kreditkarte oder App bezahlbar. Leider im Jahr 2022 noch keine Selbstverständlichkeit auf den Wanderparkplätzen der Alpen, aber doch immer eine freudige Überraschung, wenn es tatsächlich möglich ist. In unserem Fall starteten wir um 7:30 Uhr, also kurz vor Sonnenaufgang, wenn auch die Morgendämmerung schon so weit fortgeschritten war, dass man verantwortungsvoll ohne Stirnlampe losgehen konnte. Entlang der B308 geht es anfangs flach und entspannt bis zur Talstation der Wiedhagbahn, und direkt danach rechts auf einem kleinen Forstweg bergauf. Wir orientieren uns zunächst nach Osten, bis unser Weg in den Einschnitt eines Bergbaches hinführt. Ab hier hat der vorher breite und bequeme Pfad nur noch Trampelpfadcharakter und wird zusehends steiler - bis wir schlussendlich den Bachlauf queren und nunmehr eine natürliche Treppe, gebildet durch die ausgetretenen Wurzeln der Bäume, erklimmen. Bald erreichen wir den Rand der Osthangpiste und können zum ersten Mal stehen bleiben. Dort, zwischen den dicht stehenden Nadelbäumen, sind erstmals Ausblicke auf die morgengeröteten Gipfel von Jochschorfen und Zinken zu erhaschen. Diese Fernsichten im Rücken kämpfen wir uns nun durch den tiefer werdenden Schnee bergauf - jetzt an mancher Stelle schon gute 20cm tief, bis wir bei ca. 1370 Höhenmeter in einer scharfen Haarnadelkurve nach links abbiegen müssen. Die Sommerkarte würde an diesem Ort einen Wanderweg zu unseren Füßen verordnen, doch im pulvrigen Neuschnee verrät uns nur das GPS, eine leichte Unebenheit in der Schneedecke und in unserem Fall die frischen Fußspuren eines anderen Wanderers, wo es tatsächlich entlang geht. Da Indizien zwei und drei aber keinesfalls konstanten sind, will ich hier an dieser Stelle trotz der Gefahr, mich zu wiederholen, darauf hinweisen, wie wichtig bei einer Wintertour eine eigenständige Orientierungsfähigkeit ist. Besonders da auch ein GPS eine gewisse Ungenauigkeit in der Positionsangabe mit sich bringt - wer glaubt, ein bis zwei Meter Abweichung wären im Zweifel nicht so schlimm, der kann sich beim Anblick des Islergrates ja einmal überlegen, ob es einen Unterschied machen würde im Tiefschnee über dem festen Grat oder einen Schritt daneben oberhalb des überschneiten Wechtenspaltes zu stehen.

Auf jeden Fall befinden wir uns ab jetzt auf dem sogenannten “Schmugglerweg”, der uns an der Bergstation der Grenzwiesbahn vorbei in bis genau zur Deutsch Österreichischen Grenze bringt. Dabei führt unser Pfad wieder durch dichte Wälder und ist dabei geprägt von einem durchweg angenehm flachen Anstieg und damit einhergehend gutem Gehgefühl. Mit diesen beiden Dingen ist es aber schlagartig vorbei, wenn wir das rot-weiß angemalte Zöllnerhäuschen samt geöffnetem Schlagbaum direkt am Übergang ins Nachbarland erreichen. Jetzt wenden wir uns nach rechts und befinden uns ab hier auf dem Kühgrundrücken. Der mag im Sommer schon steil und herausfordernd sein, im Winter ist er aber ein echter Brecher. Bei stellenweise einem Meter Schneehöhe und vor allem noch durchgehend weichen, nicht komprimiertem Herbstschnee muss auch bei bereits vorhandenen Spuren jeder Schritt wohlüberlegt sein. Immer wieder müssen wir jetzt in steileren Stücken die Wanderstöcke oder Hände zur Hilfe nehmen, um ein allzutiefes Einsinken und damit allzugroßen Kraftaufwand zu verhindern. Ebenso verstecken sich unter dem Schnee Wurzeln, Steine und Löcher, die es zum Schutz der eigenen Sprunggelenke zu vermeiden gilt. Und noch etwas verbirgt sich unter der Schneedecke: Die Stahlseile und Aufstiegshilfen, die im Sommer das Erklimmen, der ein oder anderen Steilstelle erleichtern. Genau das führt auch zur ersten von zwei Schlüsselstellen der Tour. An einer senkrecht abfallenden Steinwand rechts vorbei leitet uns ein im tiefen Schnee noch sichtbares Stahlseil hoch. Nur um dann nach einer Serpentine auf einem Vorsprung direkt in besagter Steilwand fortgesetzt zu werden. Bei mehr Schnee sicher eine Stelle mit einem sehr hohen Risikofaktor und kaum Möglichkeiten zur Absicherung.

Schlüsselstelle bei der Wintertour auf die Kühgrundspitze und bei der Winterwanderung auf den Islergrat
Schlüsselstelle I

Oben auf der Felswand angekommen nähern wir uns dann dem Gipfel, bis nur wenige Höhenmeter unterhalb der Kühgrundspitze, fast aus dem Nichts, die zweite Schlüsselstelle auf uns wartet. Und die bereitete auch uns schon kurze Schwierigkeiten. Das hier noch schemenhaft zu erkennende Sicherungsseil verschwand in einer senkrechten, etwa zwei bis drei Meter hohen Mauer aus Pulverschnee. In dieser einen festen Tritt zu finden war auch nach tieferen Ausgrabungen ein eher aussichtsloses Unterfangen. Und eine Umgehung hätte sich wegen der akuten Absturzgefahr im weichen Schnee zu beiden Seiten nicht wirklich angeboten. Schlussendlich war gegenseitige Hilfestellung und einiges an Gefluche notwendig, um diese Mauer zu überwinden. Insbesondere für Benny, der in dem schon von anderen Wanderern und auch mir fast komplett zertretenen Schnee als Letzter in der Reihe quasi gar keinen Tritt mehr fand. Dementsprechend angestrengt gelangen wir dann letztendlich an das Gipfelkreuz der Kühgrundspitze, wo wir im Windschatten auf der Sonnenseite des Berges unsere erste wohlverdiente Pause und den traumhaften Ausblick über die Allgäuer und Lechtaler Alpen genießen können.

Nach den Mühen des Kühgrundrückens erfolgt nun der Genuss-Teil der Tour bis zum Isler, einer Strecke, die im Sommer mit gerade einmal dreißig Minuten ausgeschrieben ist, uns im Winter aber etwas mehr Zeit gekostet hat. Auf dem Gipfelgrat ist im November die Route im Schnee noch gut zu erkennen. Bis jetzt war keine Zeit, dass sich entlang der Hangkante gefährliche Wechten bilden konnten und so können wir gelassen zwischen Latschen und kleineren Felsen entlang gehen. Der Weg ist nicht mehr wirklich steil, ermöglicht aber immer wieder Aussichten wie aus einem Märchenbuch. Einziger Detraktor vom Spaß ist die stellenweise brüchige Schneedecke und die darunterliegende, mehr als einen Meter tiefe Schicht Weichschnee. So wird uns der nächste Schritt oft schwerer gemacht. Doch auch dieses Problem löste sich im Laufe des Tages, nämlich als die tapfer am blauen Himmel brennende Wintersonne die obere Schicht Schnee zu einem leicht pappenden Sulz zusammenschmolz. Diese Kombination verheißt zwar nichts Gutes für die Lawienenlage der Südhänge, uns erfreut sie aber, denn das Gehen wird so einfacher. Erst kurz vor dem Isler ist es dann vorbei mit der Entspannung. Nachdem wir den Kühgrundkopf passiert haben, steigen wir sanft bergab in einen kleinen Sattel, nur um zum Abschluss gute 70 Höhenmeter bis zum Gipfel des Islers in einer steilen und anstrengenden Weichschneewand zu verbringen. Lichtblick hier sind jedoch die Stahlseile, welche zumindest im oberen Teil des Anstieges teilweise sichtbar und durchaus hilfreich sind. Angemerkt muss noch werden, dass sowohl der Islergipfel selbst als dessen Südseite von einem Wald-Wild-Schongebiet erfasst werden. Solange wir oberhalb des in der Sommerkarte vermerkten Wanderwegs bleiben, befinden uns außerhalb dessen Grenzen. Experimente mit der Wegführung sind hier aber eindeutig nicht angebracht. Auf dem Gipfel des Isler selbst ergibt sich nun die zweite Möglichkeit für einen längere Pause um noch einmal Kraft zu tanken für das, was vor uns liegt. Der Abstieg zur Islerbahn und weiter bis nach Oberjoch könnte eine kurze Affäre sein, doch für unsere Wanderung haben wir zwei Verlängerungen vor. Der Weg vom Isler hinab scheint deutlich häufiger genutzt zu werden, denn hier haben wir nun eine gut gespurte Route bergab. Dementsprechend wird das Gehen wesentlich angenehmer, bis wir an der Islerplatzhütte sogar aus dem Schnee hinaustreten und stehen von jetzt an auf dem Palmenweg wieder auf festem Boden.

Gipfelkreuz des Islers bei einer Wintertour über Kühgrundrücken und Islergrat
Gipfelglück am Isler

Der schon erwähnte Palmenweg führt nun an der Süd- und Westflanke des Palmbergs entlang in Richtung Bad Hinterlang. Genau wegen dieser Ausrichtung sind um uns herum jetzt maximal kleine Schneereste vorhanden und die Temperaturen nahe an einem mit "frühlingshaft" beschreibbaren Niveau. Der schnell schmelzende Schnee sorgt zwar im oberen Bereich des Weges für etwas Matsch auf dem Pfad, doch das kann uns nicht davon abhalten, einen wunderbaren Wanderweg zu genießen. Das Gefälle des Palmwegs ist gegenüber der kurzen Route direkt nach Oberjoch sehr angenehm. Gehen fühlt sich hier gut an und die Knieschmerzen, die bei steilen Abstiegen manchmal eintreten, bleiben uns erspart. Dazu kommen immer wieder traumhafte Ausblicke über das Ostrachtal und die umliegenden Allgäuer Berge. Und wenn wir endlich den tiefsten Punkt unserer Tour erreicht haben, vielleicht jetzt schon ein wenig erschöpft, dann erwartet uns ein allerletztes Highlight. Der Gedanke, bis zum Parkplatz noch einmal hundert Höhenmeter zu machen, ist mit den Kilometern, die uns bereits in den Beinen brennen, im ersten Moment nicht unbedingt verlockend.

Doch der Weg entlang des Wildbachtobels ist ein landschaftliches Goldstück. Eine Sammlung verschiedenster Wasserfälle gibt uns genug Szenerie zum genießen, dass auch die Schmerzen bald vergessen sind. Und wenn wir dann an den letzten beiden Fällen vorbei über einen kurzen Wurzelweg schreiten, nur um plötzlich aus dem dunklem immergrünen Nadelwald hervorzutreten auf eine Almwiese knapp vor Oberjoch und zum ersten Mal seit einer Stunde nicht mehr Bäume vor uns sehen, sondern die eindrucksvolle und komplette Silhouette von Kühgrundrücken und Iselergrat - an ebendiesem Tag von uns überschritten - dann erreicht die dramaturgische Inszenierung dieser Wanderung ihren endgültigen Höhepunkt. Und auch wir erreichen kurz später etwas: Unseren Parkplatz und Startpunkt, an dem wir uns nun gemütlich zurücklehnen können im wohligen Gewissen eines der Highlights der Allgäuer Berge unter schwersten Bedingungen bewältigt zu haben.


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